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Lange habe ich darüber nachgedacht, ob ich diese Geschichte erzählen soll – wirklich lange. Es ist eine Thematik, die mich direkt betrifft und nicht persönlicher sein könnte. Und doch ist es ein Thema, das viele Fragen aufwirbelt, etliche Gedankenanstöße aufkommen lässt und sich jeden Tag weltweit wiederholt. Und gerade deswegen ist es wichtig, dass ich meine Geschichte erzähle.
Keiner von uns denkt im Alltag daran. Nein – vielmehr verdrängen wir den Gedanken sogar schlicht aus unserem alltäglichen Leben. Und sollte uns auch nur eine Sache an diese Thematik erinnern, schieben wir sie über die geistige Klippe und überspielen die Überlegung. Dabei ist das Thema wichtiger als viele andere Dinge. Bestimmte Angelegenheiten sollten geklärt werden, wenn man sie noch klären kann. Der Tod ist ein Thema, das der Mensch gerne ausblendet und erst dann beginnt zu behandeln, wenn es meist schon viel zu spät ist.
Das Jahr 2014 begann bei mir relativ normal. Gute Vorsätze, die man sich zu Jahresbeginn vornahm, wurden wie immer nicht wirklich berücksichtigt und dennoch verlief alles gut. Bis zum Juni, in dem ich viele kleine, nichtschmerzende Knubbel an meiner linken und rechten Halsseite bemerkte. Auf den Rat eines Freundes ging ich zum Arzt und ließ die ganze Sache untersuchen. Die Meinung zweier Ärzte war sehr ernüchternd – Verdacht auf Lymphdrüsenkrebs. Ich war schon immer ein leicht sturer Charakter, der die Dinge perfektioniert abliefert, ein klare Vorstellung vom Leben vertritt und sich daher ungern etwas sagen lässt. Doch wenn der Verdacht auf Krebs übermittelt wird, kehrt man plötzlich in sich ein und wird ganz leise. Viele Untersuchungen und eine Operation in einem Zeitraum von mehr als neun Wochen machten mich innerlich noch stiller. In dieser Zeit wurde ich sehr bedacht und beschränkte meine Aussagen nur auf das Wesentliche. Nach der Operation und dem damit verbundenen Warten auf den Befund wurde in mir ein Prozess angestoßen und dieser ließ mich sehr intensive Gedanken verarbeiten. Ich denke, ich übertreibe nicht mit der Aussage, dass man in solch einem bedrückendem Zeitraum die Zeit nach seinem Leben überdenkt. Mir wurde schlicht klar, dass es gewisse Dinge zu regeln gibt, um für den möglichen Ernstfall gerüstet zu sein. Nein – nicht jeder Knubbel am Körper muss gleich ein Todesurteil bedeuten. Und dennoch – ich war schon immer ein Planer, der allerdings nie sein Ableben mit einplante. Doch es ist nicht wichtig, ob man ein Planer oder eher ein Chaot ist, denn wir alle leben in den Tag hinein, machen uns vielleicht Gedanken über Morgen oder auch Übermorgen – aber viel weiter denkt niemand in Wirklichkeit.
Wir alle haben unsere angeschafften Güter. Über das Vermächtnis dieser Dinge nachzudenken ist irgendwie komisch und zu Lebzeiten zeitgleich auch ansatzweise makaber. Da lebt man noch und verteilt schon sein Hab und Gut an die Hinterbliebenen. Man kann sich vorstellen, dass auch ich einiges zum Überlegen hatte. Die realen Güter waren relativ schnell verteilt, da es hier schlicht keine riesigen Massen zum Verteilen gibt. So waren Haus, Hof und Hund schnell untergebracht. Doch was bringt einem dies, wenn man alles geregelt hat, aber sonst niemand davon Bescheid weiß? Abhilfe schaffte hier ein klärendes und dennoch sehr tränenreiches Gespräch in der Familie. Man muss nicht gleich den Teufel an die Wand malen, aber man sollte über gewisse Lebenssituationen reden können und diese Hürden absolvieren, wenn man sie noch kraftvoll überspringen kann. Dinge zu regeln ist der erste Schritt um Klarheit zu schaffen und Platz zu gewinnen – so ist und war schon immer meine Einstellung im und zum Leben. Der Platz war da, denn alles wurde schriftlich in einem Testament festgehalten. Ich übertreibe sicher immer noch nicht, wenn ich sage, dass man Dinge regeln muss, wenn man sie noch regeln kann. Der Notfall sollte geübt sein, auch wenn er niemals eintreten sollte. Es ist wie die Lebensversicherung, die für das Rentenalter abgeschlossen wurde und die im Ernstfall auch vor der Rente das Leben im finanziellen Sinne retten kann – sogar beim Eintreten des eigenen Todes vor dem Renteneintritt. Doch es fehlte etwas ganz wichtiges an der ganzen Regelung und dies fiel mir erst auf, als ich an meinem MacBook den letzten Absatz des Testaments festhielt. Denn eine ganze wichtige Frage kam in mir auf:
„Was passiert mit meinen digitalen Gütern?“
Unser Leben besteht aus einem großen, digitalen Muster, das nicht zerfällt, wenn unser biologisches Muster eines Tages zerfällt. Sprich – wenn wir sterben, sterben unsere digitalen Daten nicht mit. Unser Erbe betrifft heute Hinterlassenschaften, die weit mehr als nur materialistische Dinge oder Geldanlagen sind. Der Mensch schafft im Laufe seines Lebens sich selbst als Produkt, in dem er nicht nur aus Fleisch und Blut, sondern vor allem aus riesigen Datensätze besteht. Wir erledigen in unserem Alltag heute viele Dinge auf elektronischem Wege, weil es einfach ist, weil wir es nicht anders kennen und weil es teilweise auch gar nicht anders funktioniert. Dies beginnt beim Homebanking und endet beim Hören von Musik. Unser Leben und unsere Handlungen werden auf digitale Art ausgeübt, behandelt und abgeschlossen und nur wir als Nutzer sind dabei präsent. Zwischen Anbieter und ausführender Person sitzt niemand, der unsere Handlungen mitbekommt, sie nachvollzieht oder gar kontrolliert. Wir sind in diesen Handlungen schlicht isoliert und bei manchen Punkten allein schon aus Gründen der Sicherheit und des Datenschutzes. Jeder Hinterbliebene findet vielleicht die EC- und Kreditkarte von einem, doch bei den Log-In-Daten für den Onlinezugang des Bankkontos endet die Suche prinzipiell schon beim Beginn. Wir sind in unserem Leben immer eingeloggt und online. Doch wer loggt sich in unser digitales Vermächtnis ein, wenn wir uns aus unserem Leben für immer ausgeloggt haben?
Unsere Daten sichern wir höchst selten noch auf optische Datenspeicher, auf die dann physikalischer Zugriff bestehen könnte. Auch externe Festplatten werden nicht von jedem als Datenablage genutzt, denn Clouddienste beinhalten heute fast unser ganzes Leben – egal ob Fotosammlungen, riesige Musikkataloge, wichtige Dokumente oder digitale Filmregale. Auch der Nutzer eines eigenen Heimservers legt sein digitales Leben in Dateien ab und pflegt es teils pedantisch. Der Zugriff auf diese Daten ist anderen verwehrt, denn wir sichern unsere Konten und Daten ab – manchmal auch in einem verschlüsselten Dateifaktor.
Doch der Zugriff auf unser digitales Vermächtnis beginnt prinzipiell schon bei den Geräten, die wir nutzen. iPhone, iPad und Mac – alle sind mit der iCloud gekoppelt, legen ihre Daten dort als Backup ab, synchronisieren unseren ganzen digitalen Lebenstand und sind durch einen Sperrcode, in Verbund mit Touch ID, hardwareverschlüsselt und somit nicht für andere zugänglich. Die iCloud ist ein großer Bestandteil eines jeden Apple-Nutzers und einer der wichtigsten Anlaufpunkte, wenn es um persönliche Inhalte geht. E-Mails, Fotos, Kontakte, Notizen, Kalendereinträge, Erinnerungen und der gesamte iCloud-Schlüsselbund – alles spiegelt unser Leben wider und sichert es zeitgleich selbst gegen Verlust. Passwortmanager wie 1Password speichern seit Jahren unsere Passwörter und synchronisieren sie über alle genutzten Plattformen hinweg. Jeder Log-In auf einer Webseite geht gewohnt schnell, einfach und zugleich vertraut. Unsere Abonnements betreffen heute nicht nur die Tageszeitung die täglich ins Haus geliefert wird, sondern auch die Zustellung gestreamter Musik, Filme, digitaler Zeitschriften und Software. Wir leben mit unseren Datengüter 24 Stunden am Tag. Wir erweitern sie, erneuern sie und legen immer neue Datensätze an. Was der Nutzer in seinem eigenen Leben sortiert und in einer angenehmen und einfachen Struktur hält, ist für die Hinterbliebenen nicht nachvollziehbar oder gar antastbar. Diese Frage ist im heutigen Zeitalter wirklich brisant, denn ohne unser Zutun wird diese Angelegenheit nicht gelöst.
„Wer hat Zugriff auf mein digitales Ich, wenn ich selbst keinen Zugriff mehr gewähren kann?“
Ich bin kerngesund – da muss man sich heute keine Gedanken machen. Alle Untersuchungen bestätigten das sicher. Aber das Wachrütteln wirkt auch heute noch und wird noch lange anhalten. Es ist wie ein Erdbeben, dessen Nachbeben auch heute noch unter den Füßen zu spüren ist und einen Schritte behutsamer setzen lässt. Diese Erfahrung soll niemandem vor etwas Angst machen oder einem gar in seiner Lebensansicht bedrängen. Lebt wie ihr immer lebt und seid wie ihr immer seid – bedenkt aber, dass es auch anders kommen kann und das meist von jetzt auf gleich. Wieso also nicht das digitale Vermächtnis einmal überdenken und seine Onlinegüter sortieren? Niemand kennt eure digitalen Verstecke und so steht jeder potenzielle Erbe alleingelassen mit seiner Frage dar „Wieso hat er mich gewisse Dinge nicht wissen lassen?“. Die Frage „Was ist wenn?“ ist der Ausgangspunkt aller Dinge die darauf folgen. So ist mein geschriebenes Testament heute eine Warnung an mich selbst. Es gilt Dinge zu klären, wenn man es selbst noch kann – egal ob real oder virtuell.
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